"Manche Leute sagen: "Nur weil ich Fleisch esse, heißt das nicht, dass ich kein friedlicher oder mitfühlender Mensch bin." Aber ein friedliches Leben kann nicht auf einem Fundament von Gewalt aufgebaut werden und nichts "Mitfühlendes" kommt jemals von einem Schlachthof." - J. Tyler
Wir wurden dazu gebracht, Fleisch nicht mehr mit dem zu verbinden, was es wirklich ist: die zerlegten Körperteile eines lebendigen Wesens. Diese Dissoziation basiert auf der in frühester Kindheit angelernten Desensibilisierung für das Leid anderer Lebewesen.
Indem wir andere für die grausame Schlachtung an Tieren bezahlen, nehmen wir nicht aktiv an ihrem Schmerz und an ihrer Todesangst teil. Da wir diese Qual, die ihnen in Ställen und Schlachthäusern widerfährt, nicht sehen, existiert sie in unserer Realität nicht.
Das Nichtsehen ist Teil unserer Erziehung, wovon die Fleisch-, Fisch-, Milch- und Eierindustrien profitieren.
Geschieht einem Tier auf der Straße etwas Unrechtes, zögern wir nicht und kommen ihm zu Hilfe. Unseren Haustieren begegnen wir mit Liebe und lassen diese Liebe auch anderen Hunden und Katzen zukommen, denen wir zufällig begegnen. Erfahren wir von den Essgewohnheiten anderer Kulturen, in denen beispielsweise Hunde eingesperrt und bestialisch getötet werden, reagieren wir empört und sind aufgebracht.
Die praktische Bezeichnung „Nutztier“ spielt dabei eine wichtige psychologische Rolle. Das Grundwort „Tier“ wird durch „Nutzen“ näher bestimmt. Dadurch erheben wir Anspruch auf gewisse Tierarten und behalten uns das Recht vor, über sie zu bestimmen, um sie zu gebrauchen, wie wir es wollen.
Diese unterschiedliche Art von Umgang mit Tieren nennt sich Karnismus.

Der Begriff Karnismus stammt von der Psychologin Dr. Melanie Joy, die festgestellt hat, dass es von unserer Kultur abhängt, wie wir das Essen von Tieren wahrnehmen.
Von Kindes Beinen an lernen wir eine Klassifizierung von Tieren, die auf subtilen Traditionen basiert – die einen werden gestreichelt, die anderen werden gegessen. Über Traditionen nehmen wir Überzeugungen und Handlungen an, die die Wurzeln einer Kultur bilden. Statt also eigenständig Überzeugungen zu entwickeln, die nach unserem eigenen Moralempfinden entstehen, übernehmen wir einfach das, was uns beigebracht wird, ohne es zu hinterfragen. Wir fügen uns in das System, in das wir hineingeboren wurden, was eine Entfremdung mit unserem Wesenskern zur Folge hat: Ein Kind würde eine Weintraube wählen, wenn es sich zwischen ihr und einem Kaninchen entscheiden müsste. Die reine Natur des Menschen verabscheut im Grunde Gewalt. Umso einfacher ist es, dass er von der Gewalt, die sogenannten Nutztieren täglich widerfährt, nichts mitbekommt.
Wir wollen nicht, dass Tiere leiden, und doch töten wir sie, und dann essen wir sie. Durch die Beteiligung an diesem brutalen und unterdrückerischen System sind sich die Menschen der widersprüchlichen Natur solcher irrationalen Handlungsweisen nicht mehr bewusst.
Ändern wir unsere Sichtweise, beginnen wir, die Brutalität zu sehen, die sich hinter Fleisch und anderen tierischen Produkten verbirgt. Wenn wir diese Brutalität, die wir begehen, nicht erkennen wollen, wenn wir die Augen davor verschließen, was es wirklich bedeutet, in ein Stück Fleisch zu beißen, dann sehen wir nicht nur über das Leid und den Schmerz des Geschöpfes, das einmal dieses Stück Fleisch war, hinweg – wir lassen mit dieser Ignoranz auch das in uns verkümmern, was uns zu gutherzigen Menschen macht. Güte, Respekt und Liebe sind die Grundpfeiler einer friedlichen Welt.
Das unsichtbare System aus Beeinflussungen, dem wir seit Kindheit an ausgesetzt sind, hat uns dazu veranlasst, gewaltbereit zu sein, wodurch wir vergessen haben, wer wir sind (siehe Antrainierung von Gewalt). Damit beginnt ein Kampf in uns: Wird unsere ureigene Liebesfähigkeit in bestimmten Situationen wie dem täglichen Essen ausgeschaltet, können wir wahr von falsch nicht mehr unterscheiden und handeln entgegen unseres Wesens. Dieser innere Kampf hört dann auf, wenn wir bereit sind, uns einzugestehen, dass wir einem Irrtum aufgesetzt sind.
Wird uns klar, dass unsere Verteidigungshaltung gegenüber Veganismus daher rührt, dass wir in einem inneren Konflikt stehen (mit Traditionen, Auffassungen, unserem Kern u.Ä.) – dessen Bewusstmachung von uns verlangt, zu handeln und etwas zu ändern – realisieren wir, dass Töten nicht ohne Leid und Qualen passieren kann. Und etwas, das Leid und Qualen verursacht, kann kein Teil eines glücklichen, friedvollen Lebens sein.
Marie-Louise Theresa
Bücher:
Joy, Melanie: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen: Karnismus – eine Einführung (2013).
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